Vor 85 Jahren wurde Karl Leisner Bezirksjungscharführer

Karl Leisner in Ommerborn

Im Gymnasium in Kleve, das Karl Leisner ab 1925 besuchte, bildete sich eine Jugendgruppe, wobei nicht klar ist, was eher war „das Ei oder die Henne“.
Nach einer Aushilfe in Emsdetten kam am 23. Mai 1926 der Neupriester Dr. Walter Vinnenberg als Religionslehrer ans Gymnasium in Kleve und unter­rich­­tete auch in Karl Leisners Klasse Quinta b.[1] Kein Schüler hat nach der Schulzeit inten­siveren Kontakt zu Walter Vinnenberg gepflegt als Karl Leis­ner.
Nach Aussagen von Walter Vinnen­­berg wollten die Jungen auch außer­halb der Schule zusammensein. Sie wollten Begegnung mit anderen. So ent­wickelte sich ein Gruppenleben, zu dem später auch Lehrlinge gehör­ten.

[1] Ursprünglich sollte Walter Vinnenberg an der Berufsschule unterrichten.
Aus dem Kirchlichen Amtsblatt für die Diözese Münster:
1. Juni 1926. Vinnenberg Walter, Dr. phil., Seminarpriester aus Telgte z. Z. zu Emsdetten, zum Kaplan an der Mariä Himmelfahrtspfarrkirche in Cleve mit dem besonderen Auftrag, an der Berufsschule den Religionsunterricht zu erteilen (KA 1926 – Nr. 11, Art. 91: 75).

Bereits als Zwölfjähriger bekam Karl Leisner Kontakt zur Katholischen Jugendbewegung. In seinem für das Abitur einzureichenden Lebenslauf vom 1. Dezember 1933 schrieb er:
Ein bedeutsames Ereignis für mein ganzes Leben war es, als unser da­ma­liger jugendlicher Religionslehrer [Dr. Walter Vinnenberg] an mich her­antrat, um mich für eine Gruppe zu gewinnen, die er als Jugendbe­weg­ter hier ins Leben rufen wollte. Was ich von da an durch das Leben in der katholischen Jugend­bewe­gung an seelischem Reichtum und körperli­cher Er­tüchtigung gewonnen habe, das kann ich keinem sagen. Das wird auch keiner begreifen, wenn er nicht selbst ein­mal ganz in ei­ner jugend­beweg­ten Gruppe gestanden hat.

Walter Vinnenberg aus Bocholt am 29. Dezember 1976 an Heinrich Kleinen in Uedem:
Einer meiner eifrigsten Schüler war Karl Leisner. […] Eines Tages kam Karl zu mir zusammen mit einem Klassenkameraden und bat mich, ihnen zu helfen, eine Gruppe zu gründen. […] Sein jugendlicher Schwung zog an­dere mit, seine Zähigkeit half, Schwierigkeiten zu überwinden. Verzicht auf Nikotin und Alkohol, eine sehr einfache Art zu essen und zu schlafen auf den weiten Fußwande­rungen und Beschränkung auf das Wesentliche gaben Karl die Kraft, auch gegen den Strom zu schwimmen. Ohne jede Frömmelei war ihm das Leben mit der Kirche Herzenssache. Natur und Übernatur waren bei ihm nahtlos ver­bunden.

Vermutlich gab Walter Vinnenberg den Anstoß zur Gründung einer Jugend­gruppe. Der Impuls verselbständigte sich, die Jungen machten Ernst und baten Walter Vinnenberg um Hilfe.

Am 3. Februar 1927 wurde die Jungkreuzbund­gruppe St. Werner in Kleve gegründet. Karl Leisner, damals Quin­taner am Klever Gymnasium, über­nahm das Amt des Schrift­führers. Gruppenführer wurde er erst 1930. Die Grup­pen­chronik gibt Auskunft über den Verlauf der einzelnen Gruppen­stun­den. Mit einem Eintrag über die 59. Zusammenkunft der Jungkreuz­bund­gruppe St. Werner am 14. Mai 1928 endet die als einzige im Nachlaß vor­handene Gruppenchronik.

Es war nicht die letzte Aufgabe, die Karl Leisner übertragen wurde. Walter Vinnenberg sah das Führungstalent in Karl Leisner und vertraute ihm eine Gruppe an.

Karl Leisner wird Gruppenführer

Immer mehr Jungen suchten Aufnahme in das Gruppenleben, so daß die Jüngerengruppe noch vor November 1930 geteilt wurde. Die „2. Abteilung“ übernahm Karl Leisner und war damit zum ersten Mal Gruppenführer.

Karl Leisner am 19. November 1930 an Walter Vinnenberg:
Jetzt ist die Jünge­rengruppe wegen der zu großen Zahl geteilt worden. Da ich von den al­ler­mei­sten als Füh­rer der „2. Abteilung“ vorge­schlagen wurde, mußte ich die schwere Last auf mich nehmen. – Eins glaube ich aber festge­stellt zu haben, nämlich, daß Peter [Drießen[1]] sich darob zurückgesetzt fühlt.
[1] Peter Drießen, geboren am 30.4.1912 in Kellen, gilt seit Ende des Zweiten Weltkrieges als vermißt.

Her­mann Mies blieb vermutlich Gruppenführer der „1. Abtei­lung der Jüngerengruppe“. Karl Leisner hatte seiner Gruppe am 17. November 1930 den Namen „Wölfe“ gegeben.

Karl Leisner am 19. November 1930 an Walter Vinnenberg:
Am Montag [17.11.1930] hielt ich die erste Zu­sam­menkunft mit der neuen Gruppe ab. Zuerst wurde der Name festgelegt. Wir hatten die Wahl zwischen „St. Ra­phael“ und „die Wölfe“[1]. Letz­teren wollten wir denn und so haben die Kleinsten den bissigsten Na­men. Bist Du wohl mit diesem „gefährlichen“ „Indianer­namen“ zufrieden?
[1] Bereits 1926 trug in Barmen die Gruppe der Jüngsten im Jungkreuzbund den Namen „Wölfe“. Siehe: Volks­freund 25 (1929): 115.

Mit dem Nationalsozialismus begann für die Jugendbewe­gung eine schwierige Zeit. Die kleinen Bünde wie der KWV [Katholischer Wandervogel] waren in Gefahr, der Gleich­schaltung zum Opfer zu fallen.

Tagebucheintrag 4. Juli 1933:
Am 4.7.[1933] die Nachricht von der Auflösung des Katholischen Wander­vogel. – Sofort zu [Kaplan und Präses Heinrich] Brey![1] Ein­glie­derung in den JMV [Jungmänner­ver­band] usw.!
[1] Schönstattpriester Heinrich Brey, geboren am 26.5.1903 in Kapellen, gestorben am 23.8.1975. Priesterweihe am 3.3.1928 in Münster. Er war vom 12.4.1928 bis 1935 Kaplan in Kleve St. Mariä Himmel­fahrt.

Karl Leisners pädagogisches Geschick zeigt sich auch in den Vorsätzen für das neue Jahr.

Tagebucheintrag 1. Januar 1934:
II. Die Gruppe und das Heim.
a. Die Gruppenabende und Fahrten gut vorbereiten! (zum Beispiel: Auf Fahrt Spiel einlegen, wann, wie und wo?)
b. Auch die andern mit Aufgaben betrauen! Verantwortlich machen! (zum Beispiel einen für [Gruppen]Chronik, einen andern für einen Teil des Heims, wieder ‘n an­dern für die Fahrtensachen etc.) Die Übersicht muß ich selbstredend be­halten.
c.
Persönlich vorleben, was ich sage! Kein böses Wort zu einem, keine Läs­sigkeit, alles gestrafft und lebendig tun!
d.
Arbeiten und werben für die Gruppe überall!

Karl Leisner wird Bezirksjungscharführer

Heinrich Brey:
Um diese Zeit [1934] brauchte ich als Be­zirks­präses der Jugend des Dekanates einen De­ka­nats­jung­scharführer. Es war für mich klar, daß kein an­derer dafür in Frage kam als Karl. Der Mensch wächst mit seinen Auf­gaben. So war es auch bei ihm, der seine beson­dere Aufgabe sah in der Schulung der Jung­scharführer des Deka­nates. Das Kreuzbanner zog er­obernd durch die Klever Lande.[1]
[1] „Erinnerungen aus meiner Klever Kaplanszeit“ (Manuskript vom 2.2.1948): 3 (zit.: Brey).

Tagebucheintrag 18. März 1934:
Heute – am 18.3. Jungscharführerlehrgang mit „Abbruch“ [durch Besuch der Polizei] um 15.30 Uhr! Um 22.00 Uhr Pater Horstmann[1] zur Bahn ge­bracht. „Also, Karl, du machst die Sa­che im Bezirk [Kleve]!“
[1] Pater Heinrich Horstmann SJ, geboren am 30.10.1885 in Ochtrup, gestorben am 31.3.1972. Eintritt in die Gesellschaft Jesu am 1.10.1911 in ’s-Heerenberg, Priester­weihe am 9.6.1909 in Münster. Ab dem 1.2.1922 war er Mit­arbeiter des Generalpräses Carl Mosterts im Ju­gendhaus Düsseldorf. Ab 1924 hatte er die Re­dak­tion der „Jungwacht“ und ab 1926 auch die der Ju­gendzeitschrift „Am Schei­dewege“. Er war Heraus­ge­ber der „Jungschar-Werk­hefte“ und des „Jugend­prä­ses“ und außerdem Reichspräses des katholischen Schach­bun­des und Reichskaplan der Jungschar. Da er 1936 als Jesuit für Düsseldorf eine Belastung war, schied er am 1.10.1936 aus seinen Ämtern aus und ging in die Priesterseelsorge.

Karl Leisner am 5. Februar 1935 an Willi Jansen in Köln-Poll:
War von Juli 1933 bis Ostern 1934 Scharführer und Gruppenführer, vom 18. März bis Juni 1934 Bezirksjungscharführer des Bezirkes Kleve.

In die Personenkarte der Universität Münster trug Karl Leisner ein:
Hitler-Jugend, bzw. Jugendbund:
Katholischer Jungmännerverband Deutschlands
Darin tätig als:
von Mai 1933 – Ostern 1934 als Bezirksjung­scharführer bzw. Pfarrjung­scharführer.

Karl Leisner war Bezirksjung­scharführer der Dekanate Kleve und Goch im Kreis Kleve. Zum Dekanat Kleve gehör­ten damals die Orte Bimmen, Donsbrüggen, Düffel­ward, Frasselt, Griethausen, Keeken, Kellen, Kleve, Kranenburg, Materborn, Mehr, Niel, Nütter­den, Rindern, Warbeyen und Zyfflich, zum Deka­nat Goch die Orte Asperden, Bedburg, Goch, Hau, Hommersum, Keppeln, Kessel, Pfalz­dorf, Uedem und Uedemerbruch. Er hatte nun eine sehr große Verantwortung.

Im Mai 1934, als er zum Studium nach Münster ging, übernahm sein Bruder Willi das Amt des Bezirksjungscharführers.