Wilhelm Tell
legendärer Schweizer Freiheitskämpfer in der Zentralschweiz zu Beginn des 14. Jh. – Seit dem 18. Jh. bietet seine Person Stoff für künstlerische Adaptationen.
Quelle des Fotos: Wikimedia Commons / gemeinfrei (abgerufen 19.07.2017)
Das deutsche Literaturarchiv Marbach veranstaltete vom 29. bis 30. Juni 2017 eine Tagung zum Thema „Schillers Theaterpraxis“.
Link zum Deutschen Literaturarchiv Marbach
Hubert Spiegel berichtete darüber in der F.A.Z. vom 19. Juli 2017 unter der Überschrift „Huch! Was ist denn das für ein Apfel? Das ist Tells Ziel, aber den Schuss bekommt man auf der Bühne nicht zu sehen, wenn Schillers Anweisungen beim Wort genommen werden: Eine Marbacher Tagung zur Praxis des Dramatikers.“
Der Aspekt des „Apfelschusses“, den die Tagungsteilnehmer unter anderem diskutiert haben, hätte Karl Leisner vermutlich weniger interessiert. Vielleicht ist ihm bei der Lektüre nicht einmal aufgefallen, „dass“, wie der Juniordozent Dr. Thomas Boyken von der Universität Tübingen äußerte, „der berühmte Apfelschuss des Wilhelm Tell, wenn man dem Nebentext Glauben schenkt, im Stück gar nicht gezeigt wird. ‚Das war ein Schuß! Davon wird man noch reden in späteren Zeiten’, sagt Leuthold, und tatsächlich wird über den Schuss im Stück nur geredet.“
Leuthold (1)
Bereits als Junge ist Karl Leisner Wilhelm Tell in der Fassung von Franz Johannes Weinrich[1] und der von Friedrich von Schiller[2] begegnet.
[1] Das Tellspiel der Schweizer Bauern, Frankfurt/M. 1923, Berlin 1926
Im Gegensatz zu Friedrich von Schiller läßt Franz Johannes Weinrich in seinem „Tellspiel“ den Apfelschuß darstellen.
[2] Wilhelm Tell (1804). Schauspiel in fünf Aufzügen, Paderborn o. J.
Die erste Ausgabe wurde 1804 bei Cotta in Stuttgart als Taschenbuch in 7.000 Exemplaren gedruckt.
Am 17. März 1804 wurde das Drama am Weimarer Hoftheater uraufgeführt.
Quelle des Fotos: Wikimedia Commons / Urheber: H.-P. Haack / CC BY-SA 3.0 (abgerufen 20.07.2017)
Karl Leisners Tagebuchschreiben begann mit der Aufgabe, in seiner Gruppe St. Werner die Gruppenchronik zu führen. Anfangs dienten ihm diese Einträge als Vorlage für sein Tagebuch.
Gruppenchronik vom Sonntag, 8. April 1928, Ostersonntag
Morgens (Ostersonntag) gemeinschaftliche Messe und Kommunion in der Pfarrkirche [St. Johannes Baptist] zu Nideggen. Abmarschieren zum und Abfütterung im Zeltlager. (Kakao und Botterramme [Butterbrote]). Ostersonntagnachmittag Andacht und nach der Andacht Tellspiele.
Am 23. Mai 1928 trug er in seinem Tagebuch die Ereignisse vom 8. April 1928 nach, erwähnte allerdings die Theateraufführung nicht.
Nideggen, Sonntag, 8. April 1928, Ostersonntag
Um 18.00 Uhr gings zur Andacht. Nach der Andacht wurde erst zu Abend „Rissepapp“ gegessen. Dann war Osterfeuer und Knappenweihe.
Die Zeitschrift „Johannisfeuer“ 1928: 180 veröffentlichte folgenden Bericht über die Nideggen-Fahrt.
Westmarklager Ostern 1928
Die Westmark-Jungenschaft [des Jungkreuzbundes] hielt Ostern ihre Lagerwoche bei Nideggen in der Eifel. Von Gründonnerstag bis Ostermontag standen hier 200 Jungen in enger Lagergemeinschaft. Das Treffen stand unter der Forderung „Zucht und Freiheit“. An äußerem Geschehen brachte der Karfreitagabend religiöse Vertiefung, der Karsamstag einen Industrieabend der Ruhrländer. Ostersonntag fand die Knappenprüfung statt. 30 Jungen zeigten ihr Wissen um die Jugendbewegung, um unser Wollen, um Fahrt- und Lagerkunde. Hatte uns schon der Samstagnachmittag in einem Singen unter der Linde am Marktplatz des alten Städtchens [Nideggen] der Bevölkerung näher gebracht, so konnten wir noch tiefe Eindrücke vermitteln unserem und der Stadt Volk durch das „Tellspiel“ auf der Burg, das Ostersonntag in den Abendstunden durch die Düsseldorfer vorgeführt wurde. Die Nacht des ersten Ostertages erlebten wir am Feuer. Wir gedachten der Auferstehungsfreude und haben 30 Jungen in unsere Gemeinschaft aufgenommen. – Der Ostermontag brachte das Thing. Es wurden uns unsere Aufgaben um das Volk klar, wir sahen aber auch die Verpflichtung für uns selber, neue Wege zu gehen, – uns fern zu halten von allen Auswüchsen der Jugendbewegung; wir sahen die besondere Aufgabe unserer Gaue zur Grenzarbeit. – Das Lager gab uns viel Kraft mit ins Leben und festigte unsere Entschlüsse. – An beiden Tagen feierten wir die Choralmesse, die unser Bruder Walter Vinnenberg las.
Zwei Jahre später erlebte Karl Leisner eine Aufführung des Tell nach Friedrich von Schiller:
Kleve, Donnerstag, 13. Februar 1930
Aufführung des Schiller’schen Schauspiels „Wilhelm Tell“ im Schwanensaal
Am Dienstag hatten Papa und Mama mit Mühe und Not noch eine Karte zu 2,00 [Reichsmark] bekommen. Um 19.30 Uhr abends ging ich also mit dem Schultext bewaffnet zum Schwanensaal. – Natürlich konnte das Stück wegen der kleinen Bühne nicht vollständig aufgeführt werden. Dennoch gewann man einen kleinen Einblick in dieses Schauspiel Schillers. Vor allem war der junge [Arnold von] Melchthal (Jon Zeilbeck) ausgezeichnet und natürlich. – Auch [Werner] Stauffacher und [Werner] Freiherr von Attinghausen waren gut, während Tell nicht allzu berühmt war. Auch waren für die kleine Bühne glänzende Bühnenbilder erreicht! Es war sehr schön!
Während der Schweizfahrt 1932 lernte Karl Leisner die Originalorte kennen, an denen sich das Leben von Wilhelm Tell abgespielt haben soll. Dabei erinnerte er sich an die Schauspiele.
Einsiedeln, Mittwoch, 24. August 1932
Bald verabschieden wir uns vom stillen Wallfahrtsdorf. Tagesziel: Vierwaldstätter See. Es will und will nicht klar werden diesen Tag. Zu Mittag sind wir in Schwyz. Besuchen dort das barocke Kirchlein.[1] Das Rathaus ist mit Figuren aus Tell [von Friedrich von Schiller] bemalt.[2] Nachher treffen wir einen Wandergesellen aus der italienischen Schweiz. Er spricht nur italienisch. – In frischer Fahrt geht’s bergab nach Brunnen am Vierwaldstädter See.
Brunnen am Vierwaldstättersee
[1] Pfarrer Reto Müller aus Schwyz am 15.5.2007 an Hans-Karl Seeger:
Karl Leisner meinte wohl die Pfarrkirche [St. Martin]; sie ist im schönsten Spätbarock erstellt und wird vom Kunstführer die festlichste Pfarrkirche der Schweiz genannt. Allerdings ist sie groß; sie hat einige hundert Sitzplätze!
Es gibt noch andere barocke Gotteshäuser in Schwyz: die Kirche des Kollegium Schwyz (Gymnasium mit Internat) und die Kapelle St. Magdalena in Rickenbach oberhalb von Schwyz, doch dem Zitat nach meinte er wohl die dem Rathaus gegenüberliegende Kirche St. Martin.
Diese erschien Karl Leisner im Vergleich zu Einsiedeln offensichtlich klein.
Kirche und Kirchenareal St. Martin in Schwyz
[2] Das Rathaus stammt aus dem 17. Jh., die Fassadenmalerei mit der Schlacht am Morgarten aus dem 19. Jh. Die Schlacht am Morgarten am 15.11.1315 war die erste Schlacht zwischen den Eidgenossen und den Habsburgern.
Rathaus von Schwyz
Morgartendenkmal
Die kleine Axenstrasse von Stansstad nach Kehrsiten (autofrei)
Auf der andern Seite die kleine Axenstraße. – Die Erinnerungen an Tell: Rütli[1] – Schillerstein[2]. – An der Tellskapelle und Tellsplatte[3] verweilen wir eine Zeit. Der Held und Vaterlandsbefreier tritt uns vor die Seele. Schillers Drama gewinnt lebendige Gestalt.[4] In der Kapelle die Gemälde [vom Rütlischwur, Apfelschuß, Tellsprung und Hermann Gesslers Tod in der Hohlen Gasse 1307] von St. …………..[5]. Jetzt sind wir an dem Teil der Straße, wo sie sich durch die Felswand bohrt und Bogen den Blick auf See und Berge freilassen.
[1] Laut Überlieferung ist Rütli der Ort des Geheimbundes der drei Schweizer Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden 1291 gegen Habsburg.
Das Rütli (älter: Grütli „kleine Rodung“) ist eine Bergwiese am westlichen Ufer des Urnersees. Auf dieser Wiese soll der Legende nach [am 1.8.1297] das „ewige Bündnis“ der drei Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden geschlossen worden sein. Der Rütlischwur ist ein Schweizer Nationalmythos. Er besagt, daß Abgesandte aus den drei […] Urkantonen der Schweiz auf dem Rütli, einen Schwur leisteten, der ein Schutz- und Trutz-Bündnis besiegelte. Dieses Bündnis gilt im Volksmund als Gründung der Eidgenossenschaft. Historisch gilt aber heutzutage der Bundesbrief [von August 1291] als Gründungsurkunde (URL http://www.rudern.de/uploads/media/Aufbruch_zum_Ruetli.pdf – 28.4.2011).
[2] Anläßlich der Hundertjahrfeier von Friedrich von Schillers Geburtstag hat man auf einem 30 m hohen Felsen im See nördlich von Rütli die Inschrift „Dem Sänger Tells, F. Schiller, Die Urkantone 1859“ angebracht.
[3] 1387 erbaute man zur Erinnerung an den legendären Sprung Wilhelm Tells aus dem Boot des Landvogts Hermann Geßler eine Kapelle. 1590 wurde sie erweitert. 1879 entstand die heutige Kapelle.
[4] 1928 sah Karl Leisner in Nideggen „Das Tellspiel der Schweizer Bauern“ von Franz Johannes Weinrich und 1930 die Aufführung des [Friedrich von] Schiller’schen Schauspiels „Wilhelm Tell“ im Schwanensaal [in Kleve].
[5] Ernst Stückelberg (1831–1903). Vermutlich wollte Karl Leisner den Namen des populärsten Schweizer Malers nachtragen.
Schwyz, Donnerstag, 25. August 1932, 12. Tag
Gegen 12.00–13.00 Uhr auf die Rösser – heiho. Ade, Willi – werd’ gut gesund. Am niederen Seegestade vorbei an einem kleinen Nebensee über Arth-Goldau – Zugersee. Durch die hohle Gasse von Küßnacht (Tellzitate schwirren[1]), jetzt am Gestade des Vierwaldstätter Sees wieder vorbei nach Luzern. Es ist heißer Sonnentag. […] Wir schreiben die letzten Schweizer Karten […]. – Gegen 17.00–17.15 Uhr aufgesessen. Es wird schon kühler. Wir fahren noch etwa 15 bis 20 km bis zum Sempacher See – etwas hinter Nottwil.
[1] z. B. „Durch diese hohle Gasse muß er kommen, es führt kein anderer Weg nach Küßnacht“ (Friedrich von Schiller, Wilhelm Tell IV, 3). Die Hohle Gasse ist ein Hohlweg zwischen Küßnacht und Immensee. Dort soll sich 1307 die Erschießung des habsburgischen Landvogts Hermann Gessler durch Wilhelm Tell ereignet haben.
Hohle Gasse
Quelle der nicht ausgewiesenen Fotos: Antonio Rama Laguna, Familie Achermann und IKLK-Archiv