Søren Aabye Kierkegaard wäre im ausgehenden Jahr 200 Jahre alt geworden

2013_12_20_Kierkegaard

 

 

Søren Aabye Kierkegaard (* 5.5.1813 in Kopenhagen, † 11.11.1855 ebd.) – dänischer Theologe, Philosoph u. Schriftsteller

 

 

Karl Leisner begegnete Søren Aabye Kierkegaard 1934 zum ersten Mal im Studium in Münster.

Im Diktat während der Vorlesung am 15. Juni 1934  zum Thema „Der Mensch und die Philosophie“ erwähnte Professor Peter Wust den Namen Kierkegaard, und wie so oft schrieb Karl Leisner den Namen, wie er ihn hörte.

11.) Hier aber wird nun die ganze Spannung (Charakter) Dialektik der Phi­losophie nach den verschiedensten Dimensionen hin mit einem Male sicht­bar. Man spricht zwar mit Recht von gewissen unmittelbar evidenten Urprin­zipien der Philosophie (principia per se nota). Bei näherem Zusehen zeigt sich jedoch, daß gerade ihnen gegenüber jene Anfechtungs­mög­lichkei­ten am stärksten zur Geltung kommen, auf die oben hingedeutet wurde. Vor diesen Erstprinzipien scheiden sich die Philosophen wie Wiesengard (?) [Søren Aabye Kierkegaard] es richtig gesagt hat, immer wieder in die beiden Par­teien der Jasager und Neinsager, und von daher wird dann die Philoso­phie zu einem regelrechten Kampffeld der Geister.

2013_12_20_Mitschrift

Peter Wust bezog sich auf das bekannteste Werk des dänischen Philosophen „Entweder – Oder“:

2013_12_20_Kierkegaard_Entweder

 

 

Das Buch erschien 1843

 

 

 

Der Beginn der Existenzphilosophie
Sören Kierkegaard markiert einen Bruch in der Philosophiegeschichte: Während die Philosophen bis zum beginnenden 19. Jahrhundert den großen allgemeinen Fragen nachgingen – Fragen nach der Wahrheit und dem Guten etwa – und philosophische Systeme zu errichten suchten, wendet sich Kierkegaard in Entweder – Oder den konkreten Problemen des Lebens und praktischen Fragestellungen zu: Wie soll sich der einzelne Mensch in dieser oder jener Situation verhalten, welche Entscheidungen soll er treffen? Kierkegaard gilt als Begründer der Existenzphilosophie. In Entweder – Oder nimmt er eine Analyse der allgemeinen Existenzformen in Angriff und entwickelt besonders die beiden Möglichkeiten der ästhetischen und ethischen Lebensweise. Eine dritte Sphäre, die christliche Lebensweise, ist die höchste und letztlich allein erstrebenswerte; diese deutet Kierkegaard allerdings nur an. Der dänische Philosoph will insbesondere ein Gegengewicht zur damals vorherrschenden Hegel’schen Systemphilosophie bilden, einer Philosophie, die behauptete, die Gegensätze der Geschichte in einer Synthese miteinander zu versöhnen. Kierkegaard hält dagegen: Nicht das Hegel’sche Sowohl-als-auch müsse gelten, sondern ein Entweder-oder. Mit anderen Worten: Im Leben jedes Einzelnen bestehen Gegensätze fort und müssen bewältigt werden (URL http://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/klassiker/entweder-oder/3955/ –13.12.2013).

Unter der Mitschrift aus der Vorlesung von Peter Wust vom 14. November 1934 zum Thema „Psychologie“ vermerkte Karl Leisner:
PS Interessante psychologische Lektüre: [Blaise] Pascal, Pensées. – [Fran­çois-Pierre] Maine de Biran, der von der naturwissenschaftlichen Auffassung der Seele, in der zweiten Phase als Grundkraft der Seele den Willen, und in der letzten dritten Phase die Liebe als die Grundkraft der Seele erfaßte (christlich!). Sein „Journal“[1] liest sich wie ein Roman. Kierke­gaard: „Die Krankheit zum Tode“[2].[3]

[1] Maine de Biran, François-Pierre: Journal intime, Paris 1927–1931
[2] Kierkegaard, Søren Aabye: Die Krankheit zum Tode, Jena 1911
[3] Marc Röbel aus Stapelfeld am 18.7.2009 an Hans-Karl Seeger:
Die „psychologische Lektüre“ bezieht sich offenbar auf Grundfragen einer Philosophie des Geistes, die Wust in den zwanziger und dreißiger Jahren zu entwickeln suchte. Im Hintergrund steht seine Auseinandersetzung mit dem Naturalismus, d. h. mit einer ausschließlich „naturwissenschaftlichen Auf­fas­sung der Seele“ (s. u.), die den menschlichen Geist im Grunde monistisch, also allein aus den Tatsachen der empirisch verfassten Natur erklären wollte (und offenbar immer noch will, wenn man Äußerungen bestimmter Vertreter der modernen Hirnforschung bedenkt). Von Scheler hatte Wust gelernt, dass beim menschlichen Geist aber von einer „Weltoffenheit“ auszugehen ist. Der Geist ist mit dem Körper und den empirischen, neuronalen und insgesamt physiologischen Aspekten verbunden. Aber er ist nicht daran gebunden. Es ist – für Scheler wie für Wust gleichermaßen – von einer Eigendimensionalität des Geistes, aber auch des Emotionalen auszugehen. Das macht für die beiden modernen Denker die Pascal-Lektüre so interessant („Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.“). Aber vor allem Wust hat von Maine de Biran viele wertvolle Impulse erhalten. Ja, er sieht in diesem sogar ein Hoffnungszeichen, ein Paradigma für ein Denken, von dem er hofft, dass es auch in der modernen Wissenschaftskultur Schule machten könnte. In gewis­ser Weise steht ja auch Kierkegaard in dieser Reihe, da er ja den Geist – u. a. in der zitierten Schrift – offener deutet als die Vertreter des Naturalismus: Der Geist „ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält“.

2013_12_20_Kierkegaard_Krankheit2

 

Das Buch erschien 1911

 

 

 

Diese Abhandlung über Verzweiflung, Christentum, Sünde und Glaube gehört zu den eindringlichsten Schriften des Philosophen.

Verzweiflung und Glaube
In seinem Hauptwerk Entweder – Oder hatte Kierkegaard es bereits angedeutet: Neben der ästhetischen und ethischen Lebensweise gibt es da noch etwas Drittes: die religiöse Sphäre. Diesem Thema widmet er sich in seiner kurzen, aber recht komplizierten Schrift mit dem bedrohlichen Titel Die Krankheit zum Tode. Wieder geht es um die Nöte im Leben des Einzelnen, also um Existenzphilosophie, diesmal aber mit einem großen christlichen Vorzeichen. Der Buchtitel bezieht sich auf die Verzweiflung, die der dänische Philosoph zur größten Geißel der Menschheit erklärt. Weil der Mensch fortwährend zwischen den Extremen Unendlichkeit und Endlichkeit, Notwendigkeit und Freiheit hin- und herdriftet, bekundet er Mühe, seinen Platz in der Welt zu finden – und verzweifelt. Diese Verzweiflung widerfährt jedem Menschen ganz individuell und nur er selbst kann sich daraus befreien – durch den Glauben an Gott und dessen Allmacht, die ihm Hoffnung stiftet. Kierkegaard richtet sich einmal mehr gegen Hegel und die Nonchalance der dänischen Amtskirche: Glaube lässt sich weder beweisen noch nebenher erledigen, sondern muss ernsthaft und willentlich betrieben werden (URL http://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/klassiker/die-krankheit-zum-tode/5742/ – 13.12.2013).

Karl Leisner traf, wie seine Aufzeichnungen zeigen, während des Philosophiestudiums immer wieder auf Søren Aabye Kierkegaard. Als er seinen Jungmannskalender für das Jahr 1939 bekam, trug er im voraus ein, was an wichtigen Ereignissen anstand. Dazu gehörten auch die Höheren Weihen, wobei er nicht ahnen konnte, daß er die Priesterweihe in dem Jahr nicht empfing.

Münster, Sonntag, 26. Februar 1939
Weihewoche!
Für die heilige Weihewoche:

Der Gewaltigste ist der, der seine Hände richtig faltet. Kierkegaard[1]

[1] Diesen Spruch im Jungmannskalender 1939: 23 hat Karl Leisner eigens angestri­chen.

Kalender_1

Kalender_2

Die F.A.Z. vom 18. Februar 2013 brachte einen Artikel von Maximilian Krämer über Søren Aabye Kierkegaard unter dem Titel „Er war kein Mann fürs Wort zum Sonntag“.